Samstag, 30. Oktober 2010

Kommentar: Wie viel PS bringen Motorradfahrer um?

Von PS-starken Zweirädern gehen nicht zwingend größere Gefahren aus. Foto: Intermot/Auto-Reporter.NET

Exponate der Kölner Motorradmesse INTERMOT haben sie wieder einmal in Gang gebracht, die Debatte über leistungsstarke Motorräder. Zu den Kritikern zählt der Auto Club Europa (ACE). Hersteller solcher Maschinen hält der Klub für „ungestüme PS-Fanatiker“. Seit Jahren gebe sich die Branche einem „ungebremst betriebenen Wettlauf“ um höhere Motorleistung hin, heißt es in einer Pressemitteilung des ACE vorwurfsvoll. Dagegen vermisse man bei Herstellern und Händlern entsprechend großes Engagement, um „technische Module zur Unfallverhütung voranzubringen“.

Wer sein Urteil über Biker am verwegenen Fahrstil Einzelner festmacht, dem kommt die argumentative Attacke des ACE gegen leistungsstarke Motorräder vermutlich zupass. Dabei sitzen Motorradfahrer, die gern verrücktspielen um aufzufallen, nicht unbedingt auf schweren Bikes. Aber: Wer „Betrieb“ macht, wird vom Umfeld wahrgenommen, nicht derjenige, der zum großen Heer vernünftiger, disziplinierter und damit weitgehend unauffälliger Motorradfahrer zählt.

Abfinden müssen sich Biker damit, dass sie von Autofahrern, die nie auf einem Motorrad saßen, schon für leichtsinnig gehalten werden, wenn sie lediglich die Vorteile eines Zweirades nutzen – etwa dessen geringen Platzbedarf oder die Fähigkeit, ungleich kraftvoller beschleunigen zu können. Eigenartigerweise halten es Pkw-Lenker für durchaus normal, sich flexibler zu bewegen als ein großer und schwerfälliger Lkw oder Bus. Es bleibt wirklich hilfreich und dient dem umgänglichen Miteinander auf der Straße, sich ab und zu daran zu erinnern, dass „fahrzeugtechnisch“ unterschiedlich Motorisierte eigene Probleme haben, hier und da aber eben auch mal im Vorteil sind.

von tourenfahrer.de


Zurück zum ACE! Er fordert, „Motorräder serienmäßig mit ABS auszustatten“. Solche Forderung scheint einigermaßen überholt zu sein, sind doch zunehmend Maschinen mit Antiblockiersystemen, unterschiedlich konzipiert, zu haben. 15 renommierte Hersteller böten mittlerweile über 120 Modelle mit ABS an, vermeldet der ADAC. Mit den meisten ABS-Modellen vertreten seien BMW, Honda und Yamaha. Aber auch bei anderen namhaften Herstellern, etwa bei Kawasaki und Suzuki, hat das Antiblockiersystem Einzug gehalten.

Der Autoklub holt bei seiner Kritik weit aus, indem er „technische Module zur Unfallverhütung“ anmahnt. Er vermisse in der Motorradbranche „eine technische Offensive zum Ausbau der passiven Sicherheit“. Das klingt so, als verweigerte sich die Motorradbranche solchem „Ausbau“, den der Klub selbst gar nicht konkretisieren kann, wie es den Anschein hat.

Dass Gedanken dazu zuerst um den Airbag kreisen, ist naheliegend. Damit aber beschäftigen sich Motorradhersteller seit Langem. Auch Lösungen wurden gefunden, die aber weit weniger überzeugen können als in Pkws installierte Airbags. Das Problem: Den Zweiradfahrer hält kein Sicherheitsgurt auf seinem Platz, wenn es zum Crash kommt. Und was ist, wenn er „einfach nur“ stürzt? – Vielleicht ein Fall für den Airbag „am Mann“, in die Schutzkleidung integriert. Solche Vorsorge mag besser sein als keine, aber Verletzungsgefahren kann sie nicht bannen. Es bleibt wohl dabei: Das Schlimmste können im Falle eines Crashs oder Sturzes nur der Schutzhelm und die mit Protektoren verstärkte Schutzkleidung verhüten. Die beste Lebensversicherung für einen Biker ist noch immer vernünftiges eigenes Fahrverhalten.

Der ACE beklagt, dass jedes vierte zulassungspflichtige motorisierte Zweirad in der Lage sei, in den Hochgeschwindigkeitsbereich von mehr als 200 km/h vorzustoßen, und verweist darauf, dass zwar nur jedes fünfte Motorrad über eine Leistung von mehr als 70 kW (95 PS) verfüge, diese Maschinen aber an über 54 Prozent der tödlichen und an mehr als jedem dritten von Motorradfahrern verursachten Unfall mit Schwerverletzten beteiligt seien. Am größten sei die Gefahr in der Altersklasse bis 17 Jahre, in einen Unfall mit Personenschaden verwickelt zu werden. Dort habe es im vergangenen Jahr 196,3 Unfälle pro 1.000 Maschinen gegeben. Mithin sei 2009 in Deutschland fast jeder fünfte Motorradbesitzer unter 18 Jahren an einem Unfall beteiligt gewesen.

Ohne Zweifel ist das eine bedrückende Bilanz, die nachdenklich stimmt. Doch um der Wahrheit die Ehre zu geben: Keiner der verunglückten jungen Biker dürfte auf einem PS-starken Motorrad gesessen haben. Bekanntlich hat der Gesetzgeber eine Altergrenze gezogen, die erreicht haben muss, wer auf eine hochmotorisierte Maschine steigen will. Bei dieser Entscheidung dürfte davon ausgegangen worden sein, dass mit zunehmendem Alter gewöhnlich persönliche Verantwortung an die Stelle von jugendlichem Übermut und Leichtsinn tritt.

Keinen Bestand darf die Annahme haben, von PS-starken Maschinen gingen zwingend größere Gefahren aus. Beim Auto wie beim Motorrad entscheidet der Fahrer, was er mit der verfügbaren Power anstellt. Übrigens: Gegenüber Autofahrern, auch jungen, gibt es bei den Bedenkenträgern in Sachen Motorrad offenbar keinerlei PS-Vorbehalte. (Auto-Reporter.NET/Wolfram Riedel)






Keine Kommentare: