Dienstag, 10. Januar 2012

Potenzial aktiver Fahrwerke für die Fahrsicherheit von Motorrädern; von bast.de

Interessanter Beitrag von der Webseite der Bundesanstalt Straßenwesen:

Systeme zur automatischen Regelung der Fahrdynamik wie ABS und ESP haben in den vergangenen Jahren zu einer Steigerung des Fahrkomforts und vor allem zur Unfallreduktion von Pkw beigetragen. In einem Forschungsprojekt wurde untersucht, ob die Erfahrungen, die mit aktiv geregelten Dämpfersystemen im Pkw-Bereich gemacht wurden, auf Krafträder übertragbar sind.
Das Bild zeigt die Simulationsumgebung VI-MotorcycleSimulationsumgebung VI-Motorcycle (Bild: Karsten Wunram, Institut für Kraftfahrzeuge, RWTH Aachen)

Problem

16 Prozent aller Verkehrstoten in Deutschland sind Motorradfahrer. Seit Jahren stagniert ihre Zahl auf diesem hohen Niveau. Der Verbesserung der Fahrsicherheit von Motorrädern kommt deshalb eine große Bedeutung zu. Im Pkw-Bereich haben aktive oder verstellbare Fahrwerksysteme wie ABS und ESP zu mehr Fahrsicherheit und zur Vermeidung von Verkehrsunfällen beigetragen. Im Kraftradbereich existieren zwar Untersuchungen zu verstellbaren Dämpfersystemen, meist werden diese aber ausschließlich unter komfortorientierten Kriterien betrachtet. Der Einfluss geregelter Systeme auf die besonderen kraftradspezifischen Eigenschaften ist bislang noch nicht ausführlich analysiert worden. Ein Forschungsauftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen sollte diese Lücke schließen.

Untersuchungsmethode

Ausgehend von einer Literaturrecherche hinsichtlich des Technikstandes von Fahrwerkselementen im Pkw- und Motorradbereich wurden für ein Mehrkörper-Simulationsmodell grundlegende Parameter eines Versuchsmotorrades des Typs Honda VFR 800 bestimmt. Dazu zählten Messungen der Geometrie, der Einfederzustände, der Trägheitsparameter und der Achsenkinematik. Die Messergebnisse flossen in das Simulationsmodell VI-Motorcycle ein, das eine kraftradspezifische Erweiterung des Simulationspaketes ADAMS/Car darstellt. Es ermöglicht die Definition, Auswahl und Umsetzung von Fahrmanövern sowie die Beurteilung des Sicherheitsgewinns. In der Simulation wurden Schnittstellen geschaffen, die Analysen (semi-)aktiver Fahrwerke ermöglichten. Auf diese Weise konnten zahlreiche Regelalgorithmen und Dämpferkonzepte modelliert und getestet werden. Die Simulationsergebnisse beinhalten ein breites Spektrum an Fahrsituationen. Dazu zählen unter anderem Geradeaus- und Kurvenfahrten, dynamische Fahrmanöver und der Fahrspurwechsel.

Ergebnisse

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass für ausgewählte Fahrsituationen in Kombination mit den aufgebauten Reglern sowie den Dämpfer- und Stellerelementen positive Einflüsse auf das Fahrverhalten nachweisbar sind. Die aus dem Pkw-Bereich bekannten Effekte auf Fahrkomfort und Fahrsicherheit für das Überfahren von Unebenheiten und für Bremsmanöver konnten auch im Kraftradbereich bestätigt werden. Das gilt insbesondere für die Fahrmanöver Geradeausfahrt und konstante Kurvenfahrt mit dem Überfahren einer Bodenwelle. Die fahrdynamischen Radlastschwankungen und Vertikalbeschleunigungen konnten dabei erkennbar reduziert werden, wodurch sich das Schwingungsverhalten des Fahrzeugs verbesserte. Verbesserungen des Fahrkomforts waren auch auf einer Schlechtwegstrecke feststellbar. Für das Manöver doppelter Fahrspurwechsel sowie die Manöver Hochgeschwindigkeitspendeln und Highsider konnten hingegen keine verlässlichen Aussagen gemacht werden. Im ABS-Regelbereich ergab sich in der Simulation ein Bremswegverbesserungspotenzial. Der Bremsweg wurde unter optimalen Fahrbedingungen im Mittel um zwei bis vier Prozent verkürzt. Weil diese Bedingungen im realen Unfallgeschehen allerdings selten auftreten, wird kein signifikanter Einfluss auf die Unfallsituation von Motorrädern erwartet.

Folgerungen

Die Untersuchungsergebnisse lassen ein noch unerschlossenes Steigerungspotenzial für den Komfort und die Fahrsicherheit motorisierter Zweiräder erwarten. Die Erkenntnisse aus dem Pkw-Bereich können in weiten Teilen auf den Kraftradbereich übertragen werden. Die Komfortverbesserungen lassen sich aber nicht ohne tiefergehende Untersuchungen als Potenzial für eine Unfallreduktion quantifizieren. Es wird daher empfohlen, den Einfluss der Kombination von realen ABS-Regelsystemen und geregelten Dämpfersystemen weiter zu untersuchen und durch Vergleiche der Simulationsergebnisse mit Realfahrten zu validieren.

Potential of active suspensions with respect to motor-cycle safety

Active and adjustable suspension systems increase driving safety and help to avoid accidents in passenger cars. These systems include adjustable dampers and stabilizer systems as well as ABS and ESP systems. Dampers and stabilizer systems influence the dynamic wheel load and can increase driving safety, especially in case of active ABS control. The objective of this work was to test the extent to which the known influences of active damper systems on passenger cars can be translated to the motorcycle domain. Motorcycle-specific situations were investigated in a simulation environment. The results indicate that there is potential for improvements in comfort and safety. Knowledge from passenger car research can be largely translated to the motorcycle domain. A significant influence on current motorcycle accident statistics is, however, unlikely.

Forschung kompakt als Download: 18/2011 (pdf 409-KB)

gebloggt von www.bast.de

Keine Kommentare: